Objekt des Monats 09/2021
Beim Objekt des Monats erzählen wir die (Kurz-) Geschichte eines besonderen Objekts aus dem Panzermuseum.
Da wir uns bemühen auch besonders Stücke aus dem Depot vorzustellen, finden sich hier auch ungewöhnliche Objekte und spannende Geschichten
ABC-Schutzmaske der Bundeswehr
Inv. Nr.: Ü 444
Die Aufstellung der Bundeswehr im Jahr 1955 erfolgte in einer Zeit der unmittelbaren Bedrohung durch einen Nuklearkrieg. Im Rahmen der Blockkonfrontation zwischen den Westmächten der NATO und den Warschauer Vertragsstaaten im Osten bildete das geteilte Deutschland die Front. Die Atombombenabwürfe durch die USA auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki waren keine 10 Jahre her. In den frühen 1950er Jahren konnten Atomsprengköpfe bereits so klein gebaut werden, dass sie auf Kurzstreckenraketen und als Artilleriemunition verwendet werden konnten. Die Sowjetunion besaß bereits Mitte der 1950er Systeme, die auf ein Fahrgestell eines IS-3 montiert waren, spätere Systeme der USA beinhalteten sogar Kurzstreckengeschosse vor, die von einem Jeep abgefeuert werden konnten. Damit einher ging auch eine veränderte Einsatzdoktrin: Nuklearwaffen waren nicht mehr nur ganze Städte sprengende Waffen, sondern sollten taktisch auf dem Schlachtfeld eingesetzt und Teil des konventionellen Krieges werden.
Für die Soldaten bedeutete dies engeren Kontakt mit diesen Waffen und ihren Folgen auf dem Schlachtfeld. Nicht nur waren die Artilleriesoldaten, welche die Sprengköpfe abfeuerten, immer näher an ihrem verseuchten Ziel. In Manövern des Warschauer Pakts dienten taktische Nuklearwaffen zur Unterstützung eines eigenen Angriffs. Nach zwei Wellen von Nuklearschlägen auf die norddeutsche Tiefebene sollten eigene Panzer- und motorisierte Schützeneinheiten in das verseuchte Gebiet vorstoßen. Auch die NATO plante einen Zwei-Phasen-Krieg auf deutschem Gebiet, in welchem die europäischen Streitkräfte die Gegner so lange aufhalten sollten, bis US-Nuklearwaffen bereit waren und nach deren Einsatz wieder mit Heeresverbänden vorstoßen sollten.
Zusätzlich zu dieser atomaren Bedrohung fanden biologische und chemische Waffen bereits länger Verwendung; schon im Ersten Weltkrieg erhielten Soldaten Schutzmasken gegen Gaskampfstoffe. Die Erstausstattung der Bundeswehr erhielt somit eine persönliche A(tomar)B(iologisch)C(hemisch)-Schutzausstattung, welche auch eine Maske beinhaltete. Diese hieß nun nicht mehr Gasmaske, sondern ABC-Schutzmaske, da sie nicht nur gegen C-Stoffe wie Gas, sondern auch gegen Schwebeteilchen aus den Kategorien A und B schützen sollte. Die ABC-Schutzmaske 54A basiert auf der Gasmaske 38 der Wehrmacht, das zweite Modell 54B mit separatem Ausatemventil wurde nur selten ausgegeben. Die Maske besteht aus gummiertem Gewebe. Damit sie dicht sitzt, ist der Rand ist mit Velourleder bezogen und die Kopfbänder verstellbar. Zur Aufbewahrung diente eine Metallbüchse, in welcher auch Ersatzfilter und Ersatzgläser für die Augenscheiben aufbewahrt werden konnten. Diese Scheiben waren speziell beschichtet, um ein Beschlagen zu verhindern und bestanden bei diesem frühen Modell aus mit Gelatine beschichtetem Zelluloid. In die Maske können verschiedene Filter eingeschraubt werden. Der Standardfilter FR 55 besteht aus einer Faser, welche verseuchte Schwebeteile filtert und Aktivkohle, welche Gase und Dämpfe bindet. Für Dienst in Panzern und anderen geschlossenen Räumen wie Schiffen kam der Filter FE 55 zum Einsatz, der zusätzlich Kohlenmonoxid binden kann.
Bei einem ABC-Angriff sollten die Soldaten die Maske und restliche Schutzausrüstung innerhalb von 30 Sekunden anziehen, mit möglichst wenig Kontakt zum möglicherweise bereits verseuchten Boden. Die von der Bundeswehr verwendeten Panzer besaßen zu dieser Zeit noch keinen oder nur rudimentären ABC-Schutz. Bei einem atomaren Angriff hätten die Soldaten mit einem ABC-Schutzanzug durch verseuchtes Gebiet und ausradierte Städte marschieren sollen, über zerstörte Straßen und Brücken, durch brennende Wälder und einer enormen Zahl ziviler Opfer. Ob die Soldaten ein derart apokalyptisches Umfeld überhaupt mit dieser Schutzausrüstung hätten überleben können, musste glücklicherweise niemals in der Praxis bewiesen werden.