Objekt des Monats 02/2021
Beim Objekt des Monats erzählen wir die (Kurz-) Geschichte eines besonderen Objekts aus dem Panzermuseum.
Da wir uns bemühen auch besonders Stücke aus dem Depot vorzustellen, finden sich hier auch ungewöhnliche Objekte und spannende Geschichten
Bundesverdienstkreuz am Bande für einen Kampfmittelbeseitiger
Inv. Nr.: DPM 3.2553.1-2
Im Jahr 1979 starb ein Kind beim Spielen mit explosiven Chemikalien, zwei weitere wurden schwer verletzt. Die Kinder fanden das Material auf dem unzureichend abgesicherten Gelände der Chemischen Fabrik Stoltzenberg (CFS) in Hamburg. Die 1923 gegründete Firma wurde eigentlich mit der Vernichtung der Chemiewaffen des Ersten Weltkrieges betraut, die zu einem großen Teil aus der Giftgasfabrik auf dem „Gasplatz Breloh“ bei Munster stammten, die 1919 explodierte. Unter dem Deckmantel der Schädlingsbekämpfung belieferte CFS gleichzeitig aber auch die Reichswehr mit chemischen Kampfstoffen, wodurch diese gegen den Versailler Vertrag verstieß. Neben der Produktion und Entwicklung dieser Stoffe exportierte die Firma in den 1930er und 1940er Jahren das Wissen über den Aufbau von Giftgasfabriken auch ins Ausland und experimentierte zum Gasschutz, wie Gasmasken. Trotz zahlreicher Unfälle und der Nichteinhaltung von Auflagen kooperierte auch die Bundeswehr kurz nach ihrer Aufstellung mit Stoltzenberg, z. B. im Atemschutzbereich oder zur Lieferung von Nebelmitteln, aber auch den chemischen Kampfstoff Lost. Die Bundeswehr nahm von der Firma nach wiederholten Unzuverlässigkeiten wieder Abstand, doch eine Schließung der Firma erfolgte nicht. Erst im Zuge der Aufklärung des Unfalls im Jahr 1979 wurde der desolate Zustand der CFS und des Geländes so offenkundig und öffentlich bekannt, dass das Gelände sofort von Fachpersonal geräumt werden musste.
Für diese hochgefährliche Arbeit fand der Hamburger Senat die passenden Experten in Munster: Nach der Explosion des Geländes 1919 errichtete die Wehrmacht 1935 in Breloh den Kampfstoffversuchs- und Geschützübungsplatz. Bis heute arbeitet die Kampfmittelbeseitigung der Bundeswehr daran, die Blindgänger der Kampfstoffmunition von Versuchsschießen während des Ersten und Zweiten Weltkriegs zu finden und zu bergen. Diese Arbeit kostet viel Zeit und wird noch Jahre in Anspruch nehmen, immer noch sind große Gebiete des Truppenübungsplatzes verseuchte Sperrgebiete. Nach der einzelnen Identifikation und dem Delaborieren der häufig stark korrodierten Munitionsteile folgt die Vernichtung ebenfalls in einer Verbrennungsanlage in Munster, früher der Wehrwissenschaftlichen Dienststelle der Bundeswehr, heute der GEKA.
Diese Erfahrungen konnte das aus Zivilisten und Bundeswehrsoldaten bestehende Team zur Räumung des verseuchten Fabrikgeländes nutzen. Neben mehreren Dutzend Tonnen Giftstoffen, die von der Bundeswehr sofort abtransportiert werden konnten, fanden die Kampfmittelräumer über das gesamte Gelände verstreut und zum Teil in Verstecken verborgen diverse Kampfstoffe: Tabun, Lost, Phosgen, Bromaceton, Chlor und andere Stoffe, die zur militärischen Giftgasproduktion genutzt wurden und werden. Die Stoffe wurden zur Vernichtung nach Munster gebracht. Danach musste jedoch das Gelände selbst geräumt werden: Bis in ca. drei Meter Tiefe wurde alles untersucht, um verseuchte Erde und geheime Verstecke zu finden.
Ein Kampfmittelräumer der Bundeswehr erinnerte sich: „Nach etwa 2 Monaten Aufräumen war [es] das sauberste Grundstück in Hamburg“ – ihm und 41 anderen verlieh der damalige Verteidigungsminister Hans Apel das Bundesverdienstkreuz für ihren Einsatz. Doch damit war es nicht zu Ende: 1997 wurde festgestellt, dass das Grundwasser kontaminiert und eine erneute Sanierung notwendig war. Mittlerweile ist das Gelände neu bebaut.